14.12.2000

§248 / Abs 28

Widerstandswoche 46

Widerstand gegen den "postfordistischen" Kapitalismus

+ Dump Kabas darf zwar in wien als spitzenkandidat antreten, bekommt von seiner partei aber ein team ^ voraussichtlich Herbert Scheibner, Helene Partik-Pable und Peter Westenthaler zur seite gestellt.

+ dass die FPÖ zu UHBP Klestil nicht das beste verhältnis hat ist nichts neues, deswegen dürfte Karl "Lump ist noch zu freundlich" Schnell diesmal auch keine gröberen Schwierigkeiten mit der Parteiführung bekommen.

+ Die französischen Tageszeitung Le Monde bemerkte, was in diesem land schon niemandem mehr auffällt. Sie bezeichnete die von der FPÖ-Oberösterreich initiierte volksbefragung zum neubau eines musiktheaters als "gefährlichen Präzedenzfall im aktuellen politischen Klima", das sei die "erste kulturpolitische Schlacht seit ihrer Regierungsbeteiligung".

+ Jörg Haider schenkt dem papst einen christbaum und sorgt damit für politische auseinandersetzungen in italien. Rechtsextremisten des Movimento Sociale-Fiamma Tricolore und der Forza Nuova haben einen "triumphalen Empfang" angekündigt, linke gruppierungen planen protestaktionen

+ Westenthaler beschimpft die justiz und fordert die ablösung der, in der spitzelaffäre ermittelnden, staatsanwälte und des untersuchungsrichter. Inzwischen mehren sich zeugenaussagen, die kriminelle verwicklungen der partei der fleißigen und anständigen bestätigen. Ein ehemaliger mitarbeiter des fp-parlamentsklubs sagte aus, er sei gekündigt worden nachdem er sich weigerte politikerInnen anderer parteien zu bespitzeln. In der kanzlei Böhmdorfer tauchte ein interner aktenvermerk auf, der spitzeltätigkeiten im keller der sicherheitsbüros gegen Caspar Einem bestätigt. Ein ehemaliger Haider-mitarbeiter bestätigte gegenüber der wirtschaftspolizei, dass Haider 1996 vom industriellen Herbert Turnauer fünf millionen öS in bar erhielt. Die spende scheint in den offiziellen abrechnungen der fpö nicht auf.

+ Selbst österreichische journalisten haben irgendwo eine schmerzgrenze ^ die wurde von Schüssel beim eu-gipfeln in nizza erreicht. Die informationspolitik der österreichischen delegation sei "reine Propaganda" wurde kritisiert.

+ Gegen drei kärntner schuldirektoren laufen disziplinarverfahren, weil sie es wagten einen "elternbrief" Jörg Haiders nicht weiterzugeben, sondern statt dessen ein eigenes schreiben zu verfassen. Das Landesschulinspektorat wurde aufgefordert auf weiter missetäter, die das wertvolle schreiben einfach im mistkübel verschwinden ließen jagd zu machen.

+ krank sein soll teuer werden, von selbstbehalten in der höhe von bis zu 10.000 öS järlich ist die rede

+ Das ende jeder satire: Letzte woche berichtete der FP-abgeordnete Eduard Mainoni, auf einem gehsteig den slogan "Wien muss Pjöngjang werden" gelesen zu haben. "Hier wird ein Vergleich mit dem Vietnamkrieg herbeigeredet!", so mainoni.

+ Unter dem deckmantel einer umstrukturierung soll nun der rechnungshof an die leine der regierung gelegt werden.

+ ein untersuchung der sprachwissenschaftlerInnen Ruth Wodak und Alexander Pollak bescheinigt dem fp-nahen medienrichter Ernest Maurer "nicht jene politische und ideologische Unbefangenheit und jene Distanz zu NS-Ideologien" aufzuweisen, "die von einem Richter, der sich mit politischen Fragen auseinandersetzt, zu erwarten ist".

Kommentar zu Hardt / Negri: Empire

Toni Negri gilt als ein Theoretiker der autonomen Bewegung in den 70er Jahren, wurde im Zusammenhang mit der Niederlage der Bewegungen in Italien zu langjährigem Gefängnis verurteilt (u.a. wegen "bewaffnetem Aufstand"), ist nach Frankreich geflohen und vor einigen Jahren nach Italien zurückgekehrt, um seine Reststrafe abzusitzen. Jetzt hat er zusammen mit Michael Hardt ein Buch herausgegeben, das von den damaligen Theoriediskussionen ausgehend über die Einbeziehung der poststrukturalistischen Diskussion zu einer Analyse des heutigen kapitalistischen Herrschaftssystems kommt. Dabei wird nicht nur das nachimperialistische Herrschaftssystem mit seinen diffizileren Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen beschrieben, sondern auch eine Perspektive zu seiner Überwindung angedeutet. Es geht dabei darum, daß die netzwerkartigen Strukturen des "Empire" neben ihrer kontrollierenden und Macht erhaltenden Funktion auch emanzipatorische Elemente enthalten, die immer stärker in Widerspruch zu den herrschenden Formen geraten und dadurch die Konstitution einer neuen nichtkapitalistischen Gesellschaft vorzeichnen.

Die Struktur des "Empire"

Durch die antikolonialistischen und antiimperialistischen Bewegungen hat sich die herrschende Struktur vom Imperialismus zum Empire entwickelt. Abstufungen in der Machtausübung gibt es nur noch untergeordnet zwischen Nationen im Zentrum und an der Peripherie. Es hat sich immer mehr "dritte Welt" in die erste Welt verlagert, während sich in den peripheren Staaten privilegierte Sektoren und Regionen angesiedelt haben An der Spitze der Herrschaftsausübung stehen internationale Organisationen wie UNO, OSZE, IWF, Weltbank, die Treffen der OECD und ähnliches, in einem starkem Ausmaß auch die NATO als militärische Organisation. Die USA als Staat spielen zwar eine hervorragende Rolle, die aber sukzessive geringer wird. Diese internationalen Organisationen verlieren ihre dominierende Rolle, die Herrschaftsausübung wird immer mehr in dezentrale Netzwerke verlagert, wo diese Institutionen nur hervorgehobene Knotenpunkte sind.
Eine weitere Ebene der Machtausübung sind die Organisationsstrukturen transnationaler Konzerne, die ihre "Headquarter" an wenigen Punkten der Welt haben, in denen aber die internen Kommunikationsstrukturen immer bedeutender werden. Durch Auslagerungen von Teilbereichen werden diese Konzerne immer mehr zur bloßen Organisation von Strömen von Kommunikation, Information, Waren (immer weniger) und Geld. Die Kommunikation zwischen den internen und ausgelagerten Knoten läuft immer weniger über ein Zentrum laufen.
Die dritte Ebene sind die kapillaren Strukturen der Mikromacht, die von einer großen Anzahl sogenannter NGOs und regionalen und lokalen Organisationen (u.a. auch Betriebe und Verwaltungen auf lokaler Ebene) gebildet werden und den Bezug zu großen Teilen der Bevölkerung herstellen. Sie sind die Verbindung zwischen der weltweiten Organisation und den informellen Netzwerken, sozialen Zusammenhängen und Institutionen.
Die Nationalstaaten, die in ihrer demokratischen Variante in einem begrenztem Maße durch die Bevölkerung zu beeinflussen wären, spielen eine immer untergeordnetere Rolle.

Immaterielle Arbeit

Verbunden mit der Veränderung der Herrschaftsstrukturen im Weltmaßstab, gibt es eine Verschiebung von der Hegemonie der industriellen Arbeit zur dominanten Funktion der immateriellen Arbeit. Das bedeutet eben nicht, daß der (männliche) industrielle Arbeiter verschwindet, sondern nur, daß er seine zentrale Rolle in der Produktion von Wert verliert. Auch die industrielle Revolution hat die bäuerliche Arbeit und die Handwerker nicht abgeschafft, sondern bloß in den Hintergrund gedrängt.

Immaterielle Arbeit:
(A) In der industriellen Produktion gibt es eine Verschiebung vom Fordismus zum Toyotismus. Es werden nicht mehr Massen von Produkten produziert, die dann verkauft werden, sondern umgekehrt, der Markt bestimmt die Produktion. Im Idealfall wird ein Produkt erst hergestellt, wenn die Bestellung bereits eingegangen ist. Im Industriebetrieb bedeutet das eine Verschiebung weg von der Produktion hin zu Management, Marketing und Werbung.
(B) Mit den neuen Technologien wie Computern und neuen Kommunikationsmitteln gibt es eine massive Zunahme neuer Arbeitsvorgänge, die mit Symbolverarbeitung zu tun haben. Wurde früher die Gleichheit der produzierten Ware durch den abstrakten Wert (Geld, Arbeitszeit) hergestellt, gibt es jetzt einen tatsächliche Vereinheitlichung der Symbolverarbeitung: es ist egal, ob ein Reifen für ein Auto produziert wird oder die Karosserie, es handelt sich immer um die gleiche Art der Symboleingabe in den Computer. Das gilt ebenso für produktferne Bereiche wie z.B. die Werbung. Diese neuen Jobs bedeuten einerseits eine neue Schicht hochqualifizierter ComputerarbeiterInnen, parallel dazu aber auch eine zunehmende Zahl schlecht qualifizierter Menschen, deren Hauptaufgabe die Informations- und Spracheingabe ist (wie z.B. Call Center Agents).
(C) Als drittes Element der immateriellen Arbeit gilt die Arbeit, die auf dem direkten persönlichen Kontakt beruht (z.B. die GesundheitsarbeiterInnen). Auch diese Art der Arbeit ist immateriell, weil ihre Produkte nicht greifbar sind, sondern die Erzeugung oder Manipulation von Gefühlen bedeuten. In diesem Bereich wird ein Phänomen am deutlichsten, das in ökonomischen Diskussionen als Feminisierung der Arbeit bezeichnet wird. Diese Produktion muß nicht zwangsläufig mit direktem Kontakt zu tun haben, dieser Kontakt kann auch virtuell sein wie z.B. in der Unterhaltungsindustrie.

Gemeinsam ist allen Typen der immateriellen Arbeit, daß Kooperation und Kommunikation Teil der Arbeit selbst ist. Im fordistischen Unternehmen wurde die Zusammenarbeit, die Organisation der verschiedenen Teile der Produktion, der Distribution etc von außen bewirkt, das war die Aufgabe des Managements. Die Verknüpfung der Teile des Unternehmens wie auch die Beziehung zum Markt wurde durch das Unternehmen hergestellt. Die immaterielle Arbeit ist jetzt die Beziehung zum Markt und sie ist die Kommunikation innerhalb des Systems. Das System der Ausbeutung ist von der Selbstorganisation, der Kommunikation und Kooperation der immateriellen Arbeit abhängig.
Im Fordismus war die Produktion von den anderen Institutionen der Gesellschaft (wie z.B. die Familie) abgetrennt, jetzt hat sich die "Fabrik" in die Gesellschaft ausgedehnt, die Organisation der immateriellen Arbeit findet überall statt. Es gibt immer weniger Trennungen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Arbeit und Konsum, zwischen Arbeit und kreativer Betätigung ("Kunst"), die Reproduktion ist Teil der Produktion geworden usw

Widersprüche des "Empire"

Die Organisation des Kapitalismus erfordert immer mehr Menschen für die neuen Typen der Arbeit, wobei vielfältiges Wissen und kommunikative und soziale Fähigkeiten gefordert werden. War die Ausbildung im Fordismus eine Notwendigkeit für eine verhältnismäßig schmale Elite in Führungspositionen, ist Wissen inzwischen zu einem der wichtigsten Produktionsmittel geworden, weshalb der Zugang zur Bildung geöffnet wurde. So hat es die bekannte Entwicklung hin zur Massenuniversität (jetzt auch in vielen Staaten der Peripherie) gegeben. Die Profitlogik ist aber immer dabei, die Möglichkeiten zur Wissensproduktion einzuschränken, wie z.B. durch die Einführung von Studiengebühren. Auch die Ausbildung sozialer und kommunikativer Fähigkeiten wird auf den Universitäten durch zunehmende Verschulung und Straffung behindert. Die rebellische Rolle der Studierenden in den letzten Jahrzehnten hat mit dieser Ambivalenz zu tun, die die Widersprüche immer wieder aufbrechen läßt.

Im Fordismus ist es darum gegangen, für ein Produkt zu werben, wozu ein Unternehmen die Produktionsmittel besitzt. Jetzt gibt es eine Verschiebung in die Richtung, daß oft der Konsum und die KonsumentInnen erst "produziert" werden müssen. Das Marketing muß (zeitmäßig) bereits vor der Produktion passieren. Werbung und Design sind aber abhängig von der Kreativität der Menschen. Die Widersprüche entstehen hier auf einer semiotischen (immateriellen) Ebene. KünstlerInnen reflektieren den Warencharakter ihre Produkte, Werbung benutzt künstlerische Ausdrucksformen. Das System fördert und fordert ihre Kreativität, will sie zugleich aber immer wieder auf das dann doch verkaufbare einschränken.

Das System beutet immer stärker nicht allein die Arbeitskraft eines Menschen aus, sondern nutzt immer mehr den ganzen Körper. Immer stärker werden die "Werkzeuge" an den Körper oder in den Körper oder das Bewußtsein verlagert. Wissen ist viel weniger äußerlich als andere Produkte. Mit der Reproduktionsmedizin kommt es tendenziell auch dazu, daß der Mensch selbst zum Produkt wird, so wie die menschliche (meist weibliche) Körperlichkeit selbst im Zusammenhang mit Zuwendung und Emotion schon länger als Produkt existiert. Die Struktur des "Empire" hat die feministische Bewegung gegen die männliche Disziplinierung genutzt, die Machtausübung und Ausbeutung (im Sinne von Foucaults Biopolitik) funktioniert jetzt durch Selbstkontrolle und Selbstbewußtsein. Diese (begrenzte) Zunahme von Frauenmacht bedeutet aber auch eine dauernde Bedrohung des Systems, wie die andauernden Versuche einer Einschränkung dieser Macht zeigen.

Wo ein freier Fluß der Waren und der Informationen gefördert wird, kommt es auch zu einem freien Fluß der Menschen. Gerade jetzt brechen da die schärfsten Widersprüche auf. Einerseits wird die Kreativität und das Wissen der ganzen Welt gefordert, andererseits wird die Abschottung und Kontrolle der sich bewegenden Menschen brutal durchzusetzen versucht. Aber die MigrantInnen haben immer wieder (auch illegale) Wege gefunden, alle Grenzen zu durchbrechen oder zu umgehen.


für diese Ausgabe verantwortlich:
Grünalternative Jugend und someone else