05.07.2018

"Identitäre" vor Gericht

In Graz (Österreich) findet ein Prozess gegen die "Identitäre Bewegung Österreich" statt. Europaweit bekannt geworden durch Medienaktionen in den Alpen und im Mittelmeer, waren sie auch in Österreich für mehrere rassistische Vorfälle verantwortlich. Die Anklage umfasst folgende strafrechtlichen Vergehen: Verhetzung, Mitgliedschaft und Gründung einer kriminellen Vereinigung, Sachbeschädigung und Nötigung. Eine detailierte Zusammenfassung der Anklage hat prozess.report zusammengestellt. 

Die "Identitären" in Österreich

Die sich selbst als „Identitäre Bewegung Österreich“ bezeichnende rechtsextreme Gruppe gründete sich nach dem Vorbild des franzöischen „Bloc Identitaire“ im Jahr 2012 unter der Führung von deutschnationalen Burschenschaftern in Wien. Die sogenannten "Identitären" entwickelten sich rasch zum aktionistischen Arm der rechtsextremen Szene. Ihren Inszenierungen wurden von den Medien aufgegriffen und kritiklos reproduziert, auf sozialen Medien fanden sie rasch große Verbreitung.

Nach außen geben sich die "Identitären" als "junge engagierte Rechtskonservative", die mit dem Bild der glatzköpfigen Neonazis aus den 90ern nichts mehr zu tun haben wollen. Ihr Spin sich als "rechte NGO" darzustellen, wird von Medien und Politik bereitwillig aufgenommen, und damit ihre rassistische Propaganda legitimiert.

Kontrastiert wird dieses Bild von den regelmäßig stattfindenden Kampfsportübungen, Schlagstocktrainings, gewalttätigen Angriffen auf Gegenproteste und einer engen Vernetzung mit militanten Neonazis.

Der Prozess

Am 4. Juli hat der Prozess gegen "Identitäre Bewegung Österreich" begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen mehrere Vergehen vor, unter anderem mit dem §278 die Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dieser Paragraph ist grundsätzlich zu kritisieren, da er in der Vergangenheit dazu eingesetzt wurde, um um unter anderem Tierrechtsaktivist_innen oder Refugee-Proteste zu kriminalisieren. Hier allerdings Vergleiche zu den "Identitären" zu ziehen, heißt wieder auf die Selbstinzenierung als"rechte NGO" hereinzufallen und die menschenfeindliche Ideologie der neofaschistischen "Identitären" zu ignorieren und damit zu verharmlosen.

Bei einer Verurteilung drohen den 17 Angeklagten mehrere Jahre Haft. Zehn der "Identitären" sind als Mitglieder und sieben als Sympathisant_innen angeklagt. Kritische und emanzipatorische Berichterstattung zum ca. einen Monat anberaumten Prozess, gibt es unter anderem von prozess.report und Radio Helsinki - von unten. Interessierte finden dort zeitnah - beim Prozess selbst ist Live-Berichterstattung verboten - alle verfügbaren Informationen zum Prozessverlauf.

Warum eigentlich das Ganze?

Ein solcher Prozess in Österreich erscheint in einem seltsamen Licht. Die Forderungen der "Identitären", jahrelang als rechts außen verschrien, werden gerade von der aktuellen rechtsextremen/rechtskonservativen Regierung weitgehend umgesetzt. Massenlager, geschlossene Grenzen, rassistische Sozial- und Bildungspolitik, etc. sind Regierungsprogramm. Im Wahlkampf zur Nationalratswahl 2017 unterschieden sich die Botschaften der jetzigen Regierungsparteien FPÖ und ÖVP nur marginal von der Propaganda der Identitären. Nach der Wahl haben dann auch deutschnationale Burschenschafter und ehemalige Wehrsport-Kameraden aus der Neonazi-Generation der 90er in den Ministerien und Behörden Einzug gehalten.

So bleibt die Anklage der "Identitären" bloße Symptombekämpfung, während die mörderische rassistische Praxis des österreichischen Rechtsstaats unangetastet bleibt. Ein Freispruch würde den "Identitären" sogar Rückendeckung bieten und käme einer rechtsstaatlichen Absolution gleich.

Eine Verurteilung wiederum wäre für die Identitären sicherlich ein schwerer Schlag, welcher sie in ihrem Handeln einschränken würde. In Zeiten, in denen die EU eben jene Forderungen der bekannten „Defend Europe“ Kampagne umsetzt und die Rettung von Ertrinkenden kriminalisiert, kein Trost.

Egal wie der Prozess endet, es kann sich die Debatte nicht lediglich um Verbote von rechtsextremen und faschistischen Gruppen drehen. Das geht am tatsächlichen Problem vorbei. Mit ihrer Propaganda sind die "Identitären" ein Teil der rechten Kontinuitäten und rassistischen Diskurshegemonie in einem Land welches keinen antifaschistischen Grundkonsens kennt. Klare antirassistische, antifaschistische und emanzipatorische Positionen brauchen viel mehr Öffentlichkeit, statt wie bissher ständig totgeschwiegen zu werden. Wer nicht beginnt sich gegen autoritäre und faschistische Tendenzen zu stellen oder sich zumindest mit denen solidarisiert die es tun, wird selbst zum Teil der rechten Normalisierung.

Smash Fascism!

{rosa antifa wien}