13.12.2010

Kontrollieren, Verdrängen, Verbieten

Seit 1. Juni 2010 ist ein weiteres Bettelverbot in Kraft. Das mit Stimmen der SPÖ, ÖVP und FPÖ beschlossene Gesetz stellt seither sogenanntes "organisiertes" und "erwerbsmäßiges" Betteln unter Strafe und bedeutet eine weitere massive Verschärfung der Situation für Bettler_innen. Denn nicht erst seit dieser Gesetzesnovelle stehen der Exekutive vielfältige Mittel der Repression und Schikane gegen Bettler_innen zur Verfügung.

Da das Bettelverbot als Initiativantrag von der SPÖ eingebracht wurde, interpretierten es viele als ein Buhlen um reaktionäre Wähler_innen im Wiener Wahlkampf. Wahlwerbungen mit Verweis auf eine gemeinsame "Hausordnung", Forderungen nach mehr Polizist_innen auf den Straßen waren neben dem neuen Bettelverbot feste Bestandteile des SPÖ-Wahlkampfs. weitere Belege dafür. Die SPÖ Wien schien möglichen Wähler_innenschwund zur FPÖ oder ÖVP abfangen zu wollen, indem die Parteistrateg_innen voll auf die Karte Law and Order setzen – erfolglos, wie wir mittlerweile wissen.

Und weil Sicherheit und Ordnung selten ohne den Diskurs der "Sauberkeit" auskommen führt das neue Gesetz auch eine weitere Neuerung ein: Denn alle, "die eine erhebliche Verunsicherung" auslösen, können nun mit dem Wegweiserecht von Plätzen hochoffiziell verscheucht werden. Im Gesetzesentwurf waren die Menschen, die angeblich "erheblich verunsichern" noch genauer beschrieben: "Obdachlose" und "verwahrlost Auftretende" wurde vorm Beschluss noch in letzter Minute aus dem Entwurf geschwärzt, da der Begriff "Verwahrloste" in der nationalsozialistischen Rassenpolitik verwendet wurde. Immerhin, könnte eins denken, jedoch wurden nur die Begriffe gestrichen – der Sinn ist geblieben. Dass die Ausführungen nun gestrichen wurden, führte paradoxerweise außerdem dazu, dass der Antrag noch schwammiger wurde und es dementsprechend im Ermessen der Polizist_innen liegt, welche Menschen "erhebliche Verunsicherung" auslösen und welche nicht. Und es gibt sicher einige "Aktiv-Bürger_innen", die der Polizei gerne bei dieser Entscheidung mit Rat (und Tat) zur Seite stehen, um ihr eigenes Grätzl "in Ordnung" zu halten.

Dabei wäre für die Exekutive das neue Gesetz gar nicht notwendig, denn bereits davor in Kraft gewesene Gesetze kriminalisierten verschiedene Arten zu betteln: So ist etwa "aggressives" Betteln bereits seit längerem verboten. "Aggressives" Betteln ist laut Exekutive etwa, wenn Bettler_innen Passant_innen ansprechen oder die Hand (zu weit) vom Körper wegstrecken – gewünscht ist also, dass bettelnde Menschen stumm am Gehsteigrand stehen und möglichst unauffällig und "platzsparend" sind. Wohl auch aus Platzgründen wird im Sitzen betteln immer wieder mit Repression "begrüßt". Weiters steht "Betteln mit Kindern" schon länger unter Strafe: Damit – und mit dem Verweis auf "organisiertes" Betteln – werden auch antiziganistische Ressentiments bedient.

Und Alltagsrassist_innen bedanken sich dafür durch tatkräftiges Mitwirken: Denn die Gesetzesnovelle hat nicht nur die rechtliche Basis geändert, sondern hat vor allem die Polizeibeamt_innen und auch "Aktiv-Bürger_innen" darin bekräftigt, nicht passende Menschen zu verdrängen und zu bestrafen. Bereits die ersten Tage nach dem Beschluss des Initiativantrags (also noch vor Inkrafttreten)konnte mensch bereits beobachten, wie Polizist_innen besonders energisch Bettler_innen schikaniert oder auch bestraft haben.

Aber neben den Gesetzgeber_innen und der Polizei schlagen auch immer mehr öffentliche Institutionen in die gleiche Kerbe und bestärken Menschen, offensiv gegen Bettelnde, Obdachlose oder auch Zeitungsverkäufer_innen aufzutreten. So wurden seit den Durchsagen in den U-Bahnen der Wiener Linien gegen Betteln in der U-Bahn und für "anerkannte Spendenorganisationen" Bettler_innen besonders in der Nähe von U-Bahnen häufiger schikaniert als zuvor.

Damit all jene, die solche Maßnahmen befürworten, trotzdem gut schlafen können, wird der Mythos der Bettel-Mafia bemüht: Die Bettler_innen würden doch von bösen Hintermännern dazu gezwungen, zu betteln und müssten diesen dann das ganze Geld abliefern. Laut der Bettellobby Wien kann die Polizei weder in Graz, noch in Wien Beweise für die Existenz irgendwelcher mafiösen Strukturen liefern. In Kombination mit dem Gespenst der "kriminellen Banden aus Osteuropa" ergibt sich eine explosive rassistische Mischung, die wohl mitverantwortlich für das Verbot von "organisiertem Betteln" war.

Dieses Angst vor international organisierten Gruppen lässt auch Überschneidungen mit Repression gegen linke Strukturen in Europa erkennen – mit dem Unterschied, dass jede(!) Selbstorganisation unter Bettler_innen vehement versucht wird, zu unterbinden. Somit gibt es auch kaum bekannte oder öffentlich auftretende Selbstorganisationen von Bettler_innen in Österreich. Jenseits von Straßenzeitungen gibt es auch kaum Anlaufstellen für Bettler_innen – etwa damit sie sich über ihre Rechte und Pflichten informieren oder Erfahrungen austauschen könnten.

Für weitere und aktuelle Informationen zu Bettelverbot und anderen Schikanen sind die Bettellobby Wien (bettellobbywien.wordpress.com), Augustin und die Bunte Zeitung empfehlenswert.